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Laudationes für die Bürgerpreisträger 2000 - Siegfried Walther gemeinsam mit Marianne Groß (†)
Sehr geehrter Herr Walther, lieber Siegfried,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,
die Stadt Freiberg verleiht Herrn Siegfried Walther den Bürgerpreis des Jahres 2000 für seine vielfachen Verdienste um die Aufarbeitung politischen Unrechts aus den Zeiten der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR. Die Stadt Freiberg bekennt sich damit erneut zur Notwendigkeit. dieses Unrecht aufzuarbeiten. Dieses Engagement steht unserer Stadt gut zu Gesicht. Das Leben von Siegfried Walther ist gekennzeichnet durch Eingriffe, die durch die wechselvolle und leidvolle Geschichte Deutschlands verursacht worden sind. Bereits während seiner Lehre zum Stoffprüfer wurde er im September 1944 bei einem Berufswettbewerb in ein Begabtenförderungswerk aufgenommen und für eine Ausbildung zum Chemiker als besonders geeignet befunden. Dieser Berufswunsch ging mit dem Naziregime für immer unter. Seine Tätigkeit als Stoffprüfer in der Technischen Versuchsanstalt Reiche Zeche nach dem Kriegsende währte nicht lange. Die sowjetische Besatzungsmacht übernahm die uns allen namentlich bekannten Konzentrationslager von den Nationalsozialisten.
Bereits am 21.11.1945 wurde Siegfried Walther im Alter von 17 Jahren auf Grund einer vermutlichen Denunziation verhaftet und ohne Beweis des Haftgrundes sowie ohne ein Urteil in den Lagern Mühlberg und Buchenwald interniert. In diesen Lagern, meine Damen und Herren, erhielten die Internierten bewußt kein Urteil, um ihnen jede Zukunftshoffnung zu nehmen. Es herrschten dort unmenschliche Haftbedingungen, so dass viele starben oder schwere gesundheitliche Schäden davontrugen. Ein Menschenleben :zählte in den Lagern genau so wenig wie im 2. Weltkrieg, oft weniger. Diese Zeit der Erniedrigung und Hoffnungslosigkeit endete für ihn gesundheitlich schwer angeschlagen erst nach über 4 Jahren, am 12.02.1950. Nach gesundheitlicher Besserung nahm er die berufliche Tätigkeit am 15.03.1950 wieder in der Versuchsstrecke auf, wechselte später in das Deutsche Lederinstitut Freiberg, legte die Ingenieurprüfung in der Gerbereitechnik ab und arbeitete als Gruppenleiter. Siegfried Walther musste die furchtbaren Ereignisse der Internierung verdrängen, um leben zu können. Ihm war auch jede Meinungsäußerung zu dem furchtbaren Geschehen bei Strafe verboten. Er konnte sie jedoch nie vergessen.
Die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge in Berlin rehabilitierte Siegfried Walther im Jahre 1992 und stellte fest. dass er aus »politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihm nicht zu vertretenden Gründen« interniert war, so der Gesetzestext des Häftlingshilfegesetzes. Nach der politischen Wende ergriff er die Initiative, um »die Vergangenheit aufzuarbeiten«, wie wir heute leichthin sagen. Er suchte Leidensgenossen, baute mit ihnen die Bezirksgruppe Freiberg/Brand-Erbisdorf des Verbandes der Opfer des Stalinismus im September 1990 auf, wurde deren Vorsitzender und entwickelte sie in den Folgejahren zu einer der mitgliederstärksten Gruppen des Freistaates Sachsen.
Besonders wichtig war, dass er trotz eigenen Leides, den Betroffenen ein Ansprechpartner war, bei dem sie sich nach jahrzehntelangem verordneten Schweigen über ihr erlittenes schweres Schicksal aussprechen konnten. Auch den Hinterbliebenen der Opfer half er, das Schicksal ihrer vermißten Angehörigen durch Unterstützung des Suchdienstes des Roten Kreuzes zu erfahren. Er wurde als Betroffener zum Helfer für Betroffene. Neben dem Aufbau dieser Gruppe informierte sich Siegfried Walther durch Selbststudium und die Teilnahme an zentralen Schulungen des Bundes und des Freistaates Sachsen über die gesetzlichen
Möglichkeiten der Rehabilitation durch das Häftlingshilfegesetz, das Strafrechtliche -das Berufliche- und das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz sowie das Bundesversorgungsgesetz. Er gab in vielen Veranstaltungen und in Einzelgesprächen seine Erfahrungen an die Betroffenen weiter. Zu diesen Veranstaltungen lud er auch zu seiner Unterstützung Mitarbeiter der Behörden als Gesprächspartner ein. In diesem schwierigen komplizierten Gesetzeswerk gab er den oft im höheren Lebensalter stehenden Betroffenen Hilfe bei der Antragstellung auf Rehabilitierung, informierte sie über die Rechtslage und zu den vom Gesetzgeber vorgesehenen Leistungen.
Es ist sein Verdienst, dass die Betroffenen der Stadt Freiberg und des Landkreises relativ zeitig ihre Rehabilitierung erhielten. Seine Erfahrungen gab er auch in den Gesprächen der Opferverbände an die Sächsische Staatsregierung und an engagierte Bundestagsabgeordnete weiter und wies auf unerklärliche Gesetzeslücken hin. Siegfried Walther ist sich auch bewusst, dass man die Vergangenheit nicht durch Vergessen, sondern nur durch stetige Erinnerung überwinden kann. So ist es ihm besonders wichtig, in Schulklassen und bei öffentlichen Veranstaltungen über die Verbrechen der sowjetischen und deutschen kommunistischen Gewaltherrschaft zu berichten, um so das Gedenken aufrechtzuerhalten und eine Wiederholung zu verhindern.
Seiner Initiative ist es auch zu verdanken, dass auf dem Donatsfriedhof unserer Stadt ein Obelisk zum Gedenken an diese unschuldigen Opfer der Gewaltherrschaft errichtet und eingeweiht werden konnte. Den Opfern wird auch jährlich am 17.06., dem Tag des Volksaufstandes 1953, am 13.08., dem Tag des »Mauerbaus« in Berlin 1961 und am Volkstrauertag gedacht. Er hat auch Anteil an der Errichtung von Mahnmalen auf den Gräberfeldern in den Lagern Buchenwald und Mühlberg für die dort verstorbenen Freiberger. Siegfried Walther ist auch der Initiator und Mitautor einer Broschüre mit Erlebnisberichten internierter Freiberger. Die darin enthaltene Liste mit den Namen der Verstorbenen ist unvollständig, da deren Namen nicht immer erfasst worden waren. In ihr ist auch der ehemalige Oberbürgermeister Freibergs, Dr. Werner Hartenstein genannt, der 1945 unsere Stadt vor der Zerstörung durch die Sowjetische Armee rettete. Er starb im sowjetischen Speziallager Jamlitz im Februar 1947. Bei dieser bemerkenswerten wichtigen politischen Arbeit konnte sich Siegfried Walther auch auf die Mitwirkung vieler Leidensgenossen stützen. Mit dieser Aufzählung sind nur die »Highlights« genannt, wie man in »Neudeutsch« sagt. Die tägliche Kleinarbeit kann man nicht in Worte fassen. Sehr geehrter Herr Walther, uns bleibt nur, Ihnen und Ihrer werten Gattin, die immer Verständnis für Ihren Einsatz für andere hatte, herzlich zu danken und Ihnen zum Bürgerpreis zu gratulieren. Sie haben diese Ehrung verdient.
Das Leben von Frau Marianne Gross ist gekennzeichnet durch das Engagement und die Hilfe für ihre Mitmenschen, auch wenn es für sie persönlich gefährlich und mit hohen Nachteilen verbunden war. Sie sah in der Hilfe für andere den Sinn ihres Lebens. Unter Einsatz ihrer ganzen Kraft verrichtete sie ihren Dienst in den Lazaretten im 2. Weltkrieg. In der Zeit von 1953 bis 1960 organisierte sie die Hilfe für die in Not geradene Familie von Prof. Fleischer, der von der DDR - Justiz wegen der » Vorbereitung auf den Tag X«, wie man im Urteil formulierte, d. h. des Versuches der Demokratisierung in Ostdeutschland zu einer Zuchthausstrafe von 15 Jahren im September 1953 verurteilt worden war. Prof. Fleischer wurde damals zu Unrecht beschuldigt, das schwere Grubenunglück im Steinkohlenrevier Zwickau verursacht zu haben. Diese im Prinzip fachliche Auseinandersetzung wurde damals bewusst »politisiert« und die Familie ins soziale Abseits gedrängt.
Diese von Frau Gross geleistete Hilfe blieb dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR nicht verborgen. Frau Gross verlor daraufhin ihren Arbeitsplatz im Sekretariat des Kulturbundes in Freiberg. Auch die an den Arbeitsplatz gebundene Wohnung musste sie räumen. Frau Groß eröffnete einen privaten Buchverleih in einem kleinen Laden hinter dem Rathaus auf der Burgstraße, den sich noch einige kennen. Auch dieses kleine Geschäft wurde bald geschlossen. Nach einiger Zeit fand sie durch persönliche Kontakte Arbeit in einem Sekretariat der Bergakademie Freiberg. Nach dem Ende des DDR-Staates 1989 konnte Frau Gross ihre helfende Tätigkeit auch offiziell durchführen. Als eines von zahlreichen Beispielen seien die von ihr initiierten Geldsammlungen für das Obdachlosenheim Freiberg in den Jahren 1996/1997 genannt. Durch ihre selbstverständliche Hilfsbereitschaft bis ins hohe Alter ist Frau Gross nicht nur ein Vorbild vieler junger Menschen, sondern sie leistete auch einen stillen aber bedeutenden Beitrag zur Ausprägung der Bürgergesellschaft unter demokratischen Bedingungen.